Kolumne #3

Gedanken zur Gerechtigkeit im Leid von Norbert Ketteler.

Kolumne Fastenaktion 2022 am 19. März

„Der Gerechte muss viel leiden“ (Psalm 34,20) – Unrecht erleiden?

Leider Gottes erleben wir in diesen Tagen wieder, dass viel Leid über die Menschen kommt, besonders jetzt durch den unseligen Krieg, den Russland gegen sein Nachbarland, die Ukraine, führt. So viele geraten unschuldig in große Not oder müssen sogar sterben.  Das Leid in der Welt empört uns, ganz besonders dann, wenn es ausgerechnet die Guten trifft, diejenigen, die sich um ein rechtschaffenes Leben bemühen. Die Bösen scheinen eher gut davonzukommen. Durch ihr ungerechtes Verhalten leben sie auf Kosten derer, die ein gerechtes Leben führen. In Psalm 34,20 heißt es: „Der Gerechte muss viel leiden.“ Ja, wer sich um Gerechtigkeit und Frieden bemüht, den trifft es oft sogar besonders hart, wie etwa auch zurzeit Menschen, die in Russland für den Frieden mit der Ukraine demonstrieren.

In diesen Tagen vor Ostern schauen wir besonders auf das Leiden Jesu Christi. Es ist Passionszeit, Leidenszeit. Jesus musste damals auch ein bitteres Leid erfahren. Er setzte sich für die Gerechtigkeit Gottes ein und es schlug ihm dafür erbitterte Feindschaft entgegen, die schließlich zu seinem Tod am Kreuz führte. Seine Jünger und Jüngerinnen waren davon zutiefst erschüttert. Wie kann das sein, dass ein Mensch, der wie ein „unschuldiges Lamm“ lebt, der sich so für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einsetzt, so Schlimmes erleiden muss?

Beim Propheten Jesaja findet man Worte über einen Gottesknecht: „Ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut“ (Jes 52,3). Das Leiden dieses Gottesknechtes wird dort gedeutet als stellvertretendes Leiden: „Er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Vers 5). Das vierte Gottesknechtlied, das am Karfreitag im Gottesdienst gelesen wird, endet mit dem Wort: „Er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein“ (Jes 53,12). Unrecht erleiden? – Jesus hat es für uns getan!

Wir alle sind wohl auf irgendeine Weise mehr oder weniger in das Unrecht dieser Welt verwoben, zum Beispiel in die drohende oder schon stattfindende Klimakatastrophe. Müssen wir für mitverschuldetes Unrecht die gerechte Strafe, gegebenenfalls sogar Vernichtung, Tod erleiden? Wir dürfen glauben, dass Jesus Christus die Folgen unseres Unrechts auf sich genommen hat und dass er statt mit Bestrafung mit Vergebung antwortet. An die Stelle des Bösen setzt er das Gute, seine Liebe. Er ist der Gottesknecht, wie Christen glauben: „Durch seine Wunden sind wir geheilt.“

Wir sind nicht selten diejenigen, die Unrecht tun, oft aber wohl auch diejenigen, die Unrecht erleiden. Gewiss gibt es so manches Unrecht, gegen das wir uns zur Wehr setzen müssen und dürfen. Es gibt aber wohl auch so manches Unrecht, das wir nach dem Beispiel Jesu erleiden sollten. Böses nicht mit Bösem vergelten, sondern Gutes dagegen setzen, wie es in einer Rede Jesu heißt: „Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen; betet für die, die euch misshandeln“ (Lk 6,27). Wie könnte denn sonst die Kette des Bösen unterbrochen, ja abgebrochen werden? Das gelingt nicht durch ständige Vergeltung, sondern nur durch Vergebung. Und das ist wohl nicht möglich, ohne dass auch Unrecht erlitten wird. Das möge im Kleinen wie auch im Großen zwischen den Völkern gelingen.

Der 20. Vers im Psalm 34 geht übrigens noch etwas weiter, vollständig lautet er: „Der Gerechte muss viel leiden, doch allem wird der Herr ihn entreißen.“

 

Pastor Norbert Ketteler